Im nachfolgenden Auszug aus meinem Vortrag im Rahmen des Themenabends „AD(H)S“ in den Räumlichkeiten von TheraSPARKS möchte ich Ihnen einen möglichst kompakten Überblick zur Thematik geben:
Was genau ist eigentlich ADHS?
Die sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung wird im ICD-10 in der Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend einsortiert. (F90.0 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung oder F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens )
Zu den Diagnosekriterien gehören drei Hauptsymptome: eine beeinträchtigte Aufmerksamkeit, eine übermäßige Impulsivität und eine Überaktivität, die dann in mehr als nur einer Situation vorkommen, also sowohl zu Hause im Alltag als auch in der Schule, wobei die Symptome aber unterschiedlich stark ausgeprägt sein können.
Damit überhaupt von einer ADHS ausgegangen werden kann, müssen die Verhaltensauffälligkeiten über einen längeren Zeitraum, wenigstens über sechs Monate, vorhanden sein und schon im Vorschulalter, in mindestens zwei Lebensbereichen (bspw. Familie und Kindergarten/Schule), beobachtet worden sein.
Eines jedoch finde ich dabei wichtig: Der Grat zwischen einem lauten, fantasiereichen und völlig gesunden Kind und einem, dessen Betriebsamkeit ihm selbst chronisch schaden kann, ist schmal.
Im Allgemeinen sind die Folgen aber
- dass Aufgaben aufgeschoben werden
- vorzeitig abgebrochen werden oder
- nicht oder nur mit äußerster Zeit- und Kraftanstrengung zu Ende gebracht werden können
- sprunghafter Wechsel von einer Tätigkeit zur nächsten, leichte Ablenkbarkeit
- Schwierigkeiten, still zu sitzen, ein gesteigerter Rededrang und
- Schwierigkeiten, andere nicht zu unterbrechen oder abzuwarten, bis man an der Reihe ist.
- Oft eine gewisse motorische Ungeschicklichkeit und in der Folge häufige Verletzungen und Unfälle.
ADHS beschreibt also im Prinzip eine Ansammlung von Auffälligkeiten, in der Fachsprache sagt man, ein Symptomkomplex.
Häufige Begleiterkrankungen im Kindesalter:
- Leserechtschreibstörung bis zu 30% der Fälle
- Rechenstörung bis zu 30% der Fälle
- Ticsyndrom (Tourette) 10 – 20%
- Autismus in 6% der Fälle
- Zwänge
- hohe Unfallrate (durch unüberlegtes Handeln)
- Störung des Sozialverhaltens und oppositionelle Verhaltensweisen
- Schlafstörungen
Wie aber äußert sich ADHS im Erwachsenenalter?
ADHS im Erwachsenenalter wird bisher als Störungsbild oftmals noch viel zu selten erkannt und wird im Allgemeinen unterschätzt. Dabei hat es eine ganz erhebliche Bedeutung. Schätzungsweise sind etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland betroffen, ohne die geringste Ahnung davon zu haben.
Die bisherige Lehrmeinung, dass sich diese Störung im Erwachsenenalter auswächst, wird seit einigen Jahren widerlegt – insbesondere durch amerikanische Studien. Deutlich wird, dass 30 – 50% der von einer ADHS betroffenen Kinder auch später im Erwachsenenalter deutliche Symptome zeigen, die sie in ihrer Lebensgestaltung erheblich beinträchtigen.
Allerdings erfolgt meist ein sog. Symptomshift, d.h., dass sich die ursprünglichen Symptome der ADHS im Laufe des Lebens verändern und dann eben nicht mehr der Zusammenhang mit ADHS erkannt wird. Im Erwachsenenalter zeigt sich dann nicht selten ein komplexes Krankheitsbild, das durchaus das gesamte Spektrum der Psychiatrie erfassen kann (Ängste, Depressionen, Zwangsstörungen, Suchtmittelmissbrauch als gescheiterte Selbstbehandlung, psychosomatische Beschwerden, Persönlichkeitsstörungen, Schlafstörungen).
Unbehandelt bzw. ohne mögliche Strategien, die durchaus erlernbar sind (!), fällt es den Betroffenen auch im Erwachsenenalter schwer, eine innere Struktur oder Ordnung zu halten, die erhöhte Impulsivität zu steuern, Stimmungsschwankungen sowie Frustrationen auszuhalten und bei komplexeren Aufgaben und Anforderungen den nötigen langen Atem zu beweisen. Schwierigkeiten am Arbeitsplatz (auch häufige Jobwechsel) und in der sozialen Interaktion sind nicht selten die Folge. Oft fühlen sich die Betroffenen gemobbt, abgelehnt und das Selbstwertgefühl leidet in Folge dessen mehr und mehr.
ADHS – und nun?
Die gute Nachricht: Wenn Sie stark unter der ADHS-Symptomatik leiden, gibt es heute gute Therapie-Möglichkeiten, die helfen können, besser mit den eigenen Charaktereigenschaften umzugehen und den Alltag zu managen. Dabei kommen häufig mehrere Therapiebausteine zum Einsatz, auf die ich noch gesondert eingehen werde.
Welche Stärken haben Menschen mit ADHS?
Erwachsene mit ADHS haben häufig einen langen Leidensweg hinter sich, der oft mit Enttäuschungen und Frustrationen gepflastert ist. Man eckt an und die ADHS-Symptome sorgen oft für jede Menge Probleme – am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft, mit Freunden. Oft geraten dabei die Stärken, die gerade bei Menschen mit ADHS äußerst vielseitig und besonders sind, in Vergessenheit. Darum möchte ich diesen im Folgenden etwas Raum geben:
Menschen mit ADHS…
- …sind häufig Querdenker und Erfinder, mit viel Mut!
- …haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn!
- …sind oft unkonventionelle, mutige und streiterfahrene Weltverbesserer
- …bleiben bei einem Standpunkt, wenn sie davon überzeugt sind
- …arbeiten sehr hartnäckig an einer Sache, wenn sie dafür brennen
- …haben meist eine besonders genaue Wahrnehmung
- …sind oft besonders kreativ und intuitiv
- …sind häufig Literaten oder Künstler
- …sind besonders ehrlich (tragen das Herz auf der Zunge)
Typische Stärken von Menschen mit ADHS auf einen Blick:
- Kreativität (oft Schauspieler! oder tolle Werbeleute)
- Hilfsbereitschaft
- Einsatzbereitschaft
- Feinfühligkeit/Sensibilität
- Emotionalität
- Ehrlichkeit
- Begeisterungsfähigkeit
- Spontanität
- Charme
- Ideenreichtum und viel Phantasie
Die Symptome bei ADHS werden oft als eher negativ oder sehr belastend empfunden. Tatsächlich haben sie aber meist eine positive Kehrseite, die es zu entdecken gilt. Daher lohnt es sich, diese besondere Art zu sein, die ADHS in jedem Falle ist, eben mit all (!) ihren Facetten wahrzunehmen und anzunehmen.